“Ein Leben ohne das AGG ist zwar möglich, aber sinnlos” — ein Gespräch zum Abschied mit Axel Rothermundt
Diedrich Hinrichs
Ende dieses Monats wird unser Schulpastor Axel Rothermundt den aktiven Schuldienst verlassen und aus dem Kreise des Kollegiums, dem er seit der Gründung des Aue-Geest-Gymnasiums Harsefeld im Sommer des Jahre 2004 angehört hatte, als einer der nur wenigen noch verbliebenen „Frauen und Männer der ersten Stunde“ verabschiedet. In einem aus diesem besonderen Anlass geführten zweiteiligen Gespräch hält Herr Rothermundt eine Rückschau auf seine langjährige unterrichtliche und seelsorgerische Tätigkeit an unserer Lehranstalt und gewährt gleichermaßen — wie von ihm gewohnt gestenreich — den geneigten Betrachtern einen Blick auf ganz Privates.
Lieber Axel, wie ist es um deine innerseelische Befindlichkeit bestellt, wenn du den Gedanken an deinen unmittelbar bevorstehenden Abschied als Schulpastor am Aue-Geest-Gymnasium Harsefeld zulässt?
Ich bin immer sehr gerne „zur Schule gegangen“. Es hat mir sehr viel Freude gemacht, zu unterrichten. Das werde ich bestimmt vermissen. Das letzte Halbjahr allerdings, mit dem Präsenzunterricht mit Abstand und Maske, hat mir sehr viel Mühe gemacht. Die Maske erschwerte das Hören und Sprechen und sie dämpfte die spontane Reaktion, die mir sonst im Unterricht immer so wichtig war. Darum bin ich nicht nur traurig, dass ich nun die Schule verlassen werde.
Wie viele Jahre hast du am AGG Harsefeld — anfangs noch Gymnasium Harsefeld i. E. — unterrichtet und an was denkst du dabei besonders zurück: Gab es während dieser Zeit „persönliche Sternstunden“?
Seit Anbeginn, im Jahre 2004, war ich als Religionslehrer an unserer Schule tätig. Nach Auflösung der Orientierungsstufe, an der ich schon seit 2002 tätig gewesen bin, hatte ich mir eine „Gymnasialempfehlung“ verschafft. In den Räumen der OS wurde dann ja unsere Schule zunächst einquartiert. Später kamen die Container auf dem Schulhof dazu. Aus dieser Zeit erinnere ich mich an den „Bibel-Bus“, den wir einmal vor der Schule stehen hatten und mit allen Klassen besucht haben. Und dann war da das Abschreiben des Lukasevangeliums mit der Klasse 6 F2 im Jahre 2006. Das Ergebnis ist bis heute als gebundenes Buch in unserer Religionssammlung zu sehen. Das neue Gebäude durfte ich dann mit Gebet und Segen einweihen. Und dann habe ich jahrelang die 5.-klässler mit Gebet und Segen begrüßt und die Abiturienten bei der Zeugnisübergabe mit Gebet und Segen auf ihren Weg in das Leben entsandt. Das waren für mich immer Sternstunden meines Dienstes als Schulpastor.
Was hat für dich die Besonderheit am Beruf des Schulpastors — oder sollte ich vielmehr besser sagen: an deiner Berufung zum Schulpastor — in dieser Zeit ausgemacht?
Als Oberstufenschüler habe ich lange überlegt, ob ich (Religions-)lehrer oder Pastor werden sollte. Am Ende war aber klar, dass ich hauptamtlich in der Kirche arbeiten wollte. Umso mehr hat es mich gefreut, dass sich in Harsefeld die Chance ergab, neben meinem Dienst als Gemeindepastor, Schulpastor und damit Religionslehrer an unserer Schule zu werden. Weder das eine noch das andere habe ich jemals bereut.
Gibt es einen ganz besonderen, persönlichen Bibel- oder Segensspruch, der dich in der Zeit deiner Tätigkeit am AGG Harsefeld getragen, begleitet oder für dich gestanden hat?
Anlässlich meiner Verabschiedung aus der Gemeinde habe ich mich an das Wort zu meiner Ordination erinnert: “Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende”. (Jesaja 55, Vers 10–11)
Im Religionsunterricht an einer Schule bist du — im Gegensatz zu einem „normalen Pastor“ in der Gemeinde — nicht ausschließlich mit überzeugt Glaubenden, sondern mutmaßlich mit einer erklecklichen Anzahl Nicht-Glaubender im Gespräch gewesen. Wie bist du dieser Herausforderung begegnet?
Gerade die Rückfragen von Menschen, die nicht glauben, haben mich immer besonders gereizt. Und mir war immer wichtig, sowohl den glaubenden als auch den nicht glaubenden Schülern ein fairer Gesprächspartner zu sein. Und dass wir im Religionsunterricht nicht den Glauben, sondern die Mitarbeit bewerten.
Ist deiner langjährigen Erfahrung nach und bei der Möglichkeit eines Vergleichs die Bedeutung des christlichen Glaubens bzw. anderer religiöser Überzeugungen für Jugendliche eher geschwunden oder gegenwärtig — auch in Anbetracht der gerade auf sie nicht unerhebliche Auswirkungen zeitigenden Corona-Krisensituation — vielleicht sogar gewachsen?
Tatsächlich befürchte ich, dass die Bedeutung von Glaube und Kirche auch weiter stetig abnehmen wird. Die Tradition verliert immer mehr an Wirkung und jeder bekommt gesagt: „Das mit dem Glauben, das musst du selbst wissen“. Was wir als Gesellschaft damit verlieren und was an kruden anderen Vorstellungen womöglich an die Stelle des christlichen Glaubens treten wird, das mag ich mir gar nicht ausmalen.
Liegt dir eine Angelegenheit besonders am Herzen, die du unseren Schüler:innen und der gesamten Schulgemeinschaft, auf deren gemeinsamen Weg künftig ohne dich, noch mitgeben möchtest?
Zunächst freue ich mich sehr, dass mit Frau Pastorin Haar-Rathjen zum 1. Februar eine Nachfolgerin als Schulpastorin an unsere Schule kommt. Meine Rolle an unserer Schule habe ich einmal als die eines „Hofnarren“ beschrieben. In diesem Sinne wünsche ich allen, die an unserer Schule wirken: Vergesst über allen Vorschriften, Erlassen und Corona-Regeln nicht, ab und zu herzlich über das alles zu lachen. Im Glauben ist es mir bis heute möglich, das Leben und auch die Schule mit einem letzten Unernst zu betrachten. Das wünsche ich Euch auch.
Das Aue-Geest-Gymnasium Harsefeld ist ohne dich als Religionslehrer, Kollegen, Schulpastor und warmherzigen Mitmenschen eigentlich nicht vorstellbar — ist Axel Rothermundt ohne das AGG Harsefeld vorstellbar?
Mit Loriot könnte ich jetzt sagen: „Ein Leben ohne das AGG ist zwar möglich, aber sinnlos“. So weit möchte ich aber dann doch nicht gehen. Ich schaue gerne mal vorbei, ich komme gerne weiter zum Lehrervolleyball und ich hoffe, es auf diese Weise ohne Euch zu schaffen.
Lieber Axel, normalerweise wäre jetzt der Informationspflicht des Interviewten hinlänglich Genüge geleistet, aber ein Abschiedsgespräch ist mitnichten ein normales Gespräch, insbesondere nicht in deinem Fall. Daher gehen wir gemeinsam – wie du das vom Volleyballspielen her kennst – nach einem kurzen Seitenwechsel in einen zweiten Satz:
“Sagen Sie jetzt nichts, Axel Rothermundt!”
Unser scheidender Schulpastor Axel Rothermundt in einem Interview ohne Worte über seinen Blick zurück und nach vorn, in die eigene innere Tiefe und in transzendente Höhen und nicht zuletzt über seine heimliche Leidenschaft:
Lieber Axel, vielen Dank für deine Offenheit und deinen Spaß an der Sache bei diesem auf „zwei Gewinnsätze“ angelegten Gespräch, in dessen Verlauf zumindest dem Fragensteller schon jetzt ein Anflug von leichter Wehmut beschlich!
Die gesamte Schulgemeinschaft unseres Gymnasiums wünscht dir und deiner Familie jedenfalls von ganzem Herzen alles Gute: Möge auf deinem nunmehr vor dir liegenden weiteren Weg ein gerüttelt Maß deines über all die Jahre unseren Schüler:innen und der Schulgemeinschaft ausgesprochenen Segens auf dich selbst zurückfallen und fortan stets begleiten!
Zur Person:
Axel Rothermundt (65), geboren in Hannover und aufgewachsen in Wettmar / Burgwedel, Studium in Göttingen und Tübingen. Zunächst Pastor in Ostfriesland, hat er von 2004 bis Januar 2022 am Aue-Geest-Gymnasium Harsefeld das Fach Religion unterrichtet und das Pastorenamt in der Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Harsefeld bekleidet.
Interview und Fotos: Diedrich Hinrichs