Aue-Geest-Gymnasium Harsefeld
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Leben­di­ger Blick in die Geschich­te: Zeit­zeu­gen­ge­spräch am AGG

Johan­na Höper

Ihr seid jung. Erar­bei­tet euch eine Hal­tung, bil­det euch eine Mei­nung!“ – unter die­sem ein­dring­li­chen Appell stand der Besuch von drei Ham­bur­ger Zeit­zeu­gen an unse­rem Gym­na­si­um (26.01.2023): Alle vier zehn­ten Klas­sen des AGG fan­den sich an die­sem Tag für 90 Minu­ten im Forum ein, um Man­fred Hül­len, Lisa Schom­burg und Dr. Rolf Schultz-Süch­ting von ihren Kriegs- und Nach­kriegs­er­leb­nis­sen sowie ihrer Kind­heit und Jugend im Schat­ten des Natio­nal­so­zia­lis­mus berich­ten zu hören. Orga­ni­siert wur­de der Besuch im Rah­men des Geschichts­un­ter­richts unter Lei­tung von Frau Dr. Sophia Großkopf.

Mit gro­ßer Auf­merk­sam­keit und Betrof­fen­heit lausch­ten die Jugend­li­chen, wäh­rend die drei Zeit­zeu­gen im Gespräch mit den Mode­ra­to­rin­nen Pau­li­ne Hahn (Klas­se 10 F2), Lena Brunck­horst (Klas­se 10 F2) und Katha­ri­na Krohn (Klas­se 10 FSL1) von ihren per­sön­li­chen Erfah­run­gen mit einer zunächst ein­neh­men­den Ideo­lo­gie, mit Krieg, Ver­lust und Zer­stö­rung sowie mit dem ent­beh­rungs­rei­chen Leben nach 1945 berich­te­ten. So groß war das Inter­es­se unter der Schü­ler­schaft, dass sich spon­tan auch Schüler:innen des 9., 12. und 13. Jahr­gangs im Forum ein­fan­den, um die Erzäh­lun­gen der Zeit­zeu­gen mitzuverfolgen.

Lisa Schom­burg (*1930) schil­der­te offen ihre anfäng­li­che Begeis­te­rung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus, einer Ideo­lo­gie, wel­che ihr in Schu­le und im Bund Deut­scher Mädel stets ein­ge­bläut wor­den war. „Hit­ler war wie ein König, wie ein Gott für uns“, erklärt Schom­burg. Sie erin­nert sich deut­lich an den Schre­cken, als ihr Eltern­haus aus­ge­bombt wur­de, und an ihre Angst im Luft­schutz­bun­ker der Mön­cke­berg­stra­ße wäh­rend eines Bom­ben­an­griffs auf Ham­burg. Schom­burg erkann­te bald, dass die Ideo­lo­gie ein zer­stö­re­ri­sches Trug­bild gewe­sen ist, und wur­de zur Geg­ne­rin des Regimes. Sie „begann, Hit­ler zu has­sen.“ 

Auch Man­fred Hül­len (*1940) hat den Zwei­ten Welt­krieg als Kind mit­er­lebt. Er schil­der­te die Ver­haf­tung und Inhaf­tie­rung sei­nes Vaters im KZ Buchen­wald, den anschlie­ßen­den Stra­fein­satz an der deutsch-rus­si­schen Front als Minen-Sucher sowie die rus­si­sche Gefan­gen­schaft, die dem Vater ver­mut­lich das Leben geret­tet hat. Betrof­fe­ne Stil­le herrsch­te unter den Zuhörer:innen, wäh­rend Hül­len vom Tod sei­ner Schwes­ter erzähl­te, die wäh­rend eines Bom­ben­alarms von einem außer Kon­trol­le gera­te­nen LKW über­fah­ren wur­de – „Mei­ne Schwes­ter muss­te ster­ben wegen eines Krie­ges, den nie­mand braucht!“, so Hüllen.

Dr. Rolf Schultz-Süch­ting (*1944) ist in Ham­burg auf­ge­wach­sen „Mei­ne Hei­mat waren kaput­te Trüm­mer­fel­der. Ich kann­te nichts ande­res, es war ok“, erzählt er. Den­noch erin­nert er sich auch an die Käl­te, den Hun­ger und die Ent­beh­run­gen, von denen sei­ne Kind­heit geprägt war. Er berich­te­te vor allem vom Schwei­gen sei­ner Eltern über die Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus – ein Schwei­gen, das eine gan­ze Gene­ra­ti­on betraf. Der Vater war 1945 Staats­rat für Jus­tiz und Poli­zei in der Ham­bur­ger Innen­be­hör­de, die Mut­ter Halb­jü­din. Bei­de hät­ten die Fra­gen des Soh­nes nach der Ver­gan­gen­heit und ihren per­sön­li­chen Gedan­ken dar­über kaum beant­wor­tet. „Man schwieg aus Scham“, so Schultz-Süchting.

Doch lag den drei Zeit­zeu­gen nicht nur am Her­zen, die Ereig­nis­se der Ver­gan­gen­heit unse­ren Schüler:innen näher zu brin­gen: Ein­dring­lich appel­lier­ten sie an die Jugend­li­chen, aus die­ser Ver­gan­gen­heit zu ler­nen und gera­de in der heu­ti­gen Zeit eine Mei­nung und eine Hal­tung zu haben. Mit Sor­ge wür­den sie beob­ach­ten, wie sich Mob­bing unter Kin­dern und Jugend­li­chen wie­der ver­stär­ke – eine gewalt­sa­me Metho­de der Aus­gren­zung, die auch die Natio­nal­so­zia­lis­ten gegen­über poli­ti­schen Geg­nern und vor allem den Juden ange­wandt haben. 

Hier gel­te es gegen­zu­steu­ern und ein­zu­grei­fen. „Ihr wachst als Per­sön­lich­keit, wenn Ihr mal sagt: Stopp!“, beton­te Man­fred Hül­len und Dr. Rolf Schultz-Süch­ting ergänzt: „Mei­nungs­bil­dung bedeu­tet auch, die Mei­nung und Gedan­ken ande­rer zu tole­rie­ren und sich damit aus­ein­an­der­zu­set­zen.“ Einig sind sich alle drei: Wich­tig ist, dies ohne Gewalt zu tun. Des­halb wür­den sie sich als Zeit­zeu­gen enga­gie­ren. Das Ziel sei die Zukunft – „Die Natur gesund­ma­chen und die Demo­kra­tie gesund­hal­ten“. Als Zei­chen des demo­kra­ti­schen Zusam­men­halts, der gera­de in der Zeit des Ukrai­ne­krie­ges so wich­tig sei, über­reich­ten die Zeit­zeu­gen der Schu­le eine Euro­pa­flag­ge, die zukünf­tig im Forum der Schu­le an die­se Wor­te und den Appell erin­nern wird.

Unse­re Schüler:innen zeig­ten sich im Anschluss an die Ver­an­stal­tung beein­druckt von der Offen­heit der Besu­cher. Sym­pa­thisch, emo­tio­nal und bewe­gend sei­en die Zeit­zeu­gen und ihre Wor­te emp­fun­den wor­den. Das Aue-Geest-Gym­na­si­um wür­de sich freu­en, Lisa Schom­burg, Man­fred Hül­len und Dr. Rolf Schultz-Süch­ting auch im kom­men­den Jahr wie­der begrü­ßen und die­sen leben­di­gen Geschichts­un­ter­richt erneut erle­ben zu dürfen.

Foto: Johan­na Höper (1) und Nora Obeid (1)

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