Schullektüre auf der großen Bühne
Philip Renken und Diedrich Hinrichs
„Warum fahren Sie mit fünf Klassen an einem Freitagabend ins Theater?“ begehrte eine irritierte Besucherin von zwei unsere Schülerinnen und Schüler begleitenden Lehrkräften während der Pause von Carl Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ vor dem Hamburger Ernst-Deutsch-Theater in der vergangenen Woche zu wissen. „Um ihnen einen Zugang zu einem großartigen Bildungserlebnis zu eröffnen“ lautete deren Antwort. Was aber Schüler/innen unserer achten Klassen über einen Theaterbesuch denken und wie sie diesen erlebten, darüber schreibt Philipp Renken aus der 8F2.
Zugegeben, die Lektüre von Carl Zuckmayers Drama „Der Hauptmann von Köpenick“ im Unterricht mag den einen oder anderen Schüler langweilen. Doch wie verhält sich die Sache im Theater? Kann ein Medium, das nicht nur bei jungen Leuten längst durch das Kino abgelöst wurde, mit diesem Stück, in dem gezeigt wird, dass im Preußenstaat erst die Uniform den Menschen macht, heutzutage noch unterhalten oder verschwendet man als Jugendliche/r mit einem Theaterbesuch gar einen ganzen Abend?
Vor diese Frage sahen sich alle Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 8 des Gymnasiums Harsefeld gestellt, als es hieß, man würde an einem Freitagabend gemeinsam ins Ernst-Deutsch-Theater nach Hamburg fahren und eine Inszenierung ihrer Pflichtlektüre auf großer Bühne sehen. Vermutlich haben sich wohl die meisten von uns mehr auf den in Aussicht gestellten „flashmobartigen Besuch“ von knapp 130 Jugendlichen bei McDonald’s vor Aufführungsbeginn als auf die gut zweieinhalbstündige Aufführung selbst gefreut. Doch am Veranstaltungstag ging es nach einer fast reibungslos verlaufenden Busfahrt mit Ziel Hamburg-Barmbek (lediglich über die Aufteilung von fünf Klassen auf drei Busse waren manche etwas unglücklich) und im Anschluss an die wie erhofft routiniert und schnell bewältigte Massenverköstigung erlesener Fleisch‑, Geflügel- und rot-weiß dekorierter Kartoffelprodukte in Zusammenhang mit der Einnahme zucker- und coffeinhaltiger Getränke durch die „jungen Kulturhungrigen“ auch schon bald los, und der Bühnenvorhang des Ernst-Deutsch-Theaters hob sich.
Nicht nur das sparsam gestaltete Bühnenbild zur Aufführung (bestehend aus schätzungsweise fünfundzwanzig weißen Schaufensterpuppen auf einer drehbaren Bühne) war dann unter den Harsefelder Besucherinnen und Besuchern an diesem Tag ein wenig umstritten. Auch schieden sich unsere „jungen Geister“ an der Frage, ob Carl Zuckmayers spannende Spielvorlage über den in die Rolle des Außenseiters gedrängten Schuster Wilhelm Voigt, der wegen zahlreicher krimineller Delikte bereits des Öfteren hinter schwedischen Gardinen saß und immer wieder vergeblich versucht, in der Gesellschaft Fuß zu fassen, insgesamt gut umgesetzt wurde, da — wie bei einer Verfilmung eines langen Romans — die ein oder andere Szene weggelassen oder verändert wurde.
Trotz alledem wusste aber insgesamt das Theaterstück ebenso wie schauspielerisch das gesamte Ensemble (u.a. Volker Lechtenbrink in der Hauptrolle als Wilhelm Voigt) zu überzeugen. Zudem bot das Stück auch schwarzen Humor, gepaart mit einem unglaublich realitätsnahen Bezug zur Gegenwart und jeder Menge „Action“ (z.B. in der Caféhaus-Szene). Nicht zu übersehen war beim Blick auf die Sitzreihen auch, dass überwiegend älteres Publikum den Weg ins Theater gefunden hatte, wenngleich unsere fünf achten Klassen den Altersdurchschnitt wohl um etliche Jahre gedrückt haben.
Ein verlorener Abend war es trotz zwiespältiger Eindrücke jedenfalls ganz und gar nicht. Das Medium Theater hat einige Vorteile, die Kino oder Fernsehen nicht bieten können: sei es die greifbare, atmosphärisch fast beklemmende Inszenierung oder der Umstand, dass eben alles live und in Farbe ist.
(Philip Renken, Klasse 8F2)